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Statement der Stadt Dessau-Roßlau und des Oberbürgermeisters zum Tag der Erinnerung 2021

Sehr geehrte Damen und Herren,

an diesem Tag vor nunmehr 21 Jahren wurde in unserer Stadt ein junger, dreifacher Familienvater aufgrund seiner Herkunft und Hautfarbe brutal aus dem Leben gerissen. Drei Rechtsradikale verprügelten und misshandelten Alberto Adriano am 11. Juni 2000 im Dessauer Stadtpark so schwer, dass er drei Tage später seinen Verletzungen erlag.

Am 3. Juli 2000 – kaum 3 Wochen später – wollte Alberto Adriano seine Familie in Mosambik besuchen, seine Kinder sehen, seine Frau umarmen, die Zeit zusammen genießen. Er hatte über 4 Jahre für diesen Flug gespart. Eine Geschichte, eine Zukunft, ein Leben wurden ausgelöscht in wenigen qualvollen Minuten sinnloser Gewalt gegen das vermeintliche ‚Anderssein‘, das ‚Nicht-von-hier-Sein‘.

Seit nunmehr 7 Jahren begehe ich mit Ihnen gemeinsam diesen Tag der Erinnerung, der mich noch immer tief betroffen macht, einen Tag der Erinnerung an Alberto Adriano, sowie weitere Opfer wie Hans-Jörg Sbrzesny, einen Tag der Erinnerung an die realen Konsequenzen rechter Ideologisierung, einen Tag der Erinnerung als Aufruf zur Wachsamkeit,

  • wachsam vor den Gefahren post-faktischer Meinungsmache in sozialen Medien, in Telegram-Kanälen oder WhatsApp-Gruppen, in Vereinen, an Stammtischen oder in Wahlkampfveranstaltungen und Wahlkampfpostern vor Ihrer Haustür,
  • wachsam vor dem Versprechen einfacher Lösungen für politisch hochkomplexe Prozesse,
  • wachsam vor den ‚Die-Da und Wir-Hier‘-Ressentiments erstarkender Populisten mit fragwürdigen Absichten,
  • wachsam vor den verharmlosenden ‚Das-wird-man-ja-wohl-mal-sagen-dürfen-Sätzen‘, die den unvermindert alltäglichen Rassismus in Deutschland facettenreich zu relativieren versuchen,
  • wachsam vor den noch immer gängigen rassistischen Zuschreibungen vergangener Tage und daraus resultierenden Akten der Ausgrenzung und Gewalt gegen die vermeintlich ‚Anderen‘ im Heute.

Seit Alberto Adrianos Tod in unserer Stadt sind 21 Jahre vergangen. 21 Jahre die mindestens weitere 14 Menschenleben allein in Sachsen-Anhalt gefordert haben. Nicht zählbar bleiben dabei die noch immer alltäglichen Mikroaggressionen gegenüber Menschen die als ‚fremd‘ wahrgenommen werden – der böse Blick in der Warteschlange, das unachtsame Hinterfragen der Herkunft oder Zugehörigkeit, die verweigerte Dienstleistung aufgrund eines ‚Missverständnisses‘ oder die Ermahnung, dass das eben Gehörte ja gar nicht so gemeint war oder man gefälligst nicht so empfindlich sein soll.

In den letzten 21 Jahren ist der Kampf gegen den Alltagsrassismus in Deutschland sichtbarer geworden, zuletzt durch die BlackLivesMatter-Demonstrationen und öffentliche Antirassismus-Debatten. Aber damit dürfen wir uns nicht zufrieden geben. Unser Ziel muss es sein, dass sich jeder Mensch sicher fühlen und an der Gesellschaft teilhaben kann.

Dieses Ziel vor Augen haben sich viele Bürgerinnen und Bürger in den letzten 21 Jahren für ein vielfältiges, offenes und demokratisches Dessau-Roßlau eingesetzt. 21 Jahre, in denen Tag für Tag zahlreiche Institutionen, Initiativen und ehrenamtlich tätige Menschen durch ihre Arbeit zeigten, wie gelebte Vielfalt aussieht.

Nur durch diesen unermüdlichen Einsatz gegen strukturellen und institutionalisierten Rassismus, gegen Intoleranz und Vorurteile bis hinunter auf die Ebene des persönlichen Gesprächs, gegen Pauschalisierung, Stereotypisierung, Stigmatisierung und Vorverurteilung in jeglicher Form, wird es gelingen, aus dem ‚Sichtbarmachen‘ eine nachhaltige Verbesserung zu erwirken. Dafür möchte ich den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Dessau-Roßlau von Herzen danken.

Ignatz Bubis, ehemaliger Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, sagte einst: „Was geschehen ist, darf man nicht vergessen, um für die Zukunft dagegen gefeit zu sein.“

Die Erinnerung an Alberto Adriano und Hans-Jörg Sbrzesny muss wachgehalten werden, denn wer vergisst, verlernt und wiederholt.

Die Erinnerung muss wachgehalten werden als Mahnmal für kommende Generationen, als Signal für uns alle, den Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung vehement zu führen, aber vor allem als Anerkennung und Würdigung lieber Menschen aus unserer Mitte.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Peter Kuras

Oberbürgermeister der Stadt Dessau-Roßlau